Heimatforschung: Wer befestigte den Wasserpuhl?

20. 01. 2014

Südwestlich der Stadt, ca. 600m vom Ortsausgang in Richtung Schopsdorf am Rande der Alten See, liegt am Naturlehrpfad eine kreisrunde Senke von annähernd 60cm Tiefe. Diese Senke ist zum Teil mit Findlingen befestigt. Nach Erinnerungen suchend fiel mir ein, dass wir als Kindergartenkinder zusammen mit Frau Franke oder Frau Wendler die Natur auf dem Lehrpfad erkundeten und meist bis zum 2. Hölzchen spazierten. Jeder war stolz, der die Erste-Hilfe-Tasche tragen durfte. Dort stand bis vor wenigen Jahren eine nach zwei Seiten offene Hütte mit Tisch und Holzklötzen als Sitzgelegenheit. Immer, wenn wir dort ankamen, wurde Rast gemacht. Die von den Müttern geschmierten Stullen wurden aus den Brotbüchsen geholt und genüsslich verzehrt. Die Kindergärtnerinnen brachten den Tee mit, so dass unser Durst gelöscht wurde. Nach ausreichendem Spiel an der Luft und auf einem langen Baumstamm, den man erklimmen und von dem man ins weiche Moos springen konnte, hieß es wieder „Kindergartenwärts“.

Dabei kamen wir an dieser Senke vorbei und jedesmal sprangen wir hinein. Die Atmosphäre verzauberte immer wieder - jemand sprach vom Froschkönig und dass das hier sein Brunnen war. Selbst die Brunnensteine kann man noch anfassen. Der Boden der Senke war immer sauber, d.h. es lag kein Laub und wie letztens gesehen, kein Müll darin, als wenn jemand die Senke immer sauber gehalten hätte. Durchaus möglich, dass die damaligen Mitglieder des Vereins Naturlehrpfad vieles bereinigten oder reparierten.

 

Wieder im Lande, genau am 7. März 2013 zu Omas Geburtstag, suchte ich die Senke auf. Dazu noch `ne Vorgeschichte zum Schmunzeln: Ich kramte in den Erinnerungen und versuchte, den Ort wieder zu finden. Selbst auf Google Earth war die Senke nicht zu sehen. So fuhr ich dann 2012 bis zum ehemaligen Bahnübergang der Linie Ziesar-Güsen und fuhr rechts auf den Weg ein, der bis zum Ufer der ehemaligen Alten See führt. Dort ging ich nach rechts, meinen Kinderspuren sozusagen nach, auf eine kleine Anhöhe, die sich an dieser Stelle der Alten See wie eine schützende Uferbefestigung befindet. Man kam sich nun wieder wie im „Märchenwald“ vor: Hohe und vor allem alte Bäume standen obenauf, einige waren im Laufe der Jahre umgestürzt und versperrten den Weg. Ich lief weiter und weiter und fand aber die Senke nicht. Die Anhöhe hinunter und wieder hoch, doch die Senke blieb verschollen. So brach ich die Suche ab. Ein Jahr später fragte mein Vater nach, ob ich denn die Senke schon gefunden habe, was ich mit nein beantworten musste. Da fuhren wir beide los und hielten genau an der Senke an. Komisch, dachte ich, an dieser Stelle hätte ich sie nicht vermutet. Aber sie war dort, die Senke, unser „Froschkönigbrunnen“. Diesmal musste ich nicht springen, sondern konnte einen normalen Schritt in die Mitte tun. Soviel Laub (und Unrat) hatte sich in vielen Jahren in der Mitte gesammelt, selbst die Steine fühlten sich nicht mehr so hoch an.

Es stellte sich die Frage, wie diese Senke entstanden ist, ob sich darin Wasser hielt und vor allem, wer die Findlinge im Kreis rum gelegt hat. Mein Vater sprach von einer Sage oder Geschichte, die man im hiesigen erzählt. Vor vielen Jahren soll ein dem Wein stark zusagender Postkutscher samt Kutsche in den Wasserpuhl gestürzt und ertrunken sein.  Weiteres konnte er auch nicht sagen. Hm, keine Antworten auf meine Fragen - wie nun weiter? Zuerst mal „Omma“ besucht, dann gefragt, aber sie wusste auch nur von diesem Postkutscher. Im Seniorenheim fand sich kein Bewohner, der mir zur Senke Hinweise geben konnte. Mein Vater riet mir, Frau Sieglinde Wendt, damalige Bürgermeisterin, zu befragen.

Das tat ich dann auch. Das Gespräch war angenehm und sie erfreut über den Anruf, dennoch kam ich auch nicht weiter.

 

Wenig später las ich auf der Ziesaraner Homepage folgenden Eintrag:

578: Rose Scheimann                                                                       14.02.2013, 04:47 Uhr

„Herzliche Gruesse an alle Ziesaraner. Ich verbrachte meine Kindheit in Ziesar. 1934-1943
Mein Name war Schulze und wir wohnten bei Zagermann in der Bahnhofstr. Ich lebe seit 1952 in Australien.“

 

Gut, dass Frau Scheimann ihre E-Mail-Adresse angegeben hat. So konnte ich sie anschreiben. Wie gesagt, sie lebt ja in Australien, aber dank des Internet ist das wohl keine Entfernung mehr.

 

Zu ihrer Person fand ich im Oranienburger Stadtmagazin (Juni 2011) einen Artikel (pdf-Datei) mit der Überschrift  „... dass einst Weinbergschnecken unseren Schlosspark bewohnten?“, aus dem ich zitiere:

 „Am 29.12.1930 wurde ich in Oranienburg geboren. Ein kleines Haus in der Nelkenstrasse sah meine ersten Schritte. Nur wenige Jahre sollte ich ein Oranienburger Kind bleiben.

Politik begann die ersten Schatten auf unser Leben zu werfen. Mein Vater, Wilhelm Schulze, war Buchdrucker bei der Oranienburger Zeitung und ebenfalls Vorsitzender bei der Buchdrucker-Vereinigung. Sozial ausgerichtet, wurde er dank einer Verleumdung einer der ersten Maenner, die in dem gerade errichteten Konzentrationslager inhaftiert wurden. Dank der Bemuehungen von Familie und Kollegen wurde er nach zehn Tagen wieder entlassen; aber wie das damals so war, der Verleumder hatte nun die Stellung meines Vaters. Er ging Stubben buddeln und entschloss sich, in die Stadt seiner Geburt und Ausbildung, Ziesar, zurueckzugehen und eine Stellung beim Anzeiger anzunehmen bei der Druckerei W. Leddin.“

Und weiter:

„Im September 1945 zog ich nach Berlin-Spandau, um eine Ausbildung als Krankenschwester zu beginnen. Nach bestandenem Examen wanderte ich 1952 nach Australien aus.

Ich lebe in Brisbane, der Hauptstadt des Staates Queensland. Seit 1979 schreibe und praesentiere ich woechentliche Sendungen in deutscher Sprache bei Radio 4EB FM 98.1 hier. Interessenten finden uns unter: www.4eb.org.au.“

Ich fragte sie nach ihren Kindheitserinnerungen und nach diesem Wasserpuhl.

Folgendes schrieb sie zurück:

„Urspruenglich hatten Sie nach Kindheitserinnerungen gefragt. Eine Kindheit in den Dreissigern und Vierzigern in einer kleinen Provinzstadt war nicht sehr abwechslungsvoll und doch habe ich liebe Erinnerungen daran. Damals war es noch moeglich, vor dem Haus von Zagermann ein Seil ueber die ganze Bahnhofstrasse zu halten, an einem der Lindenbaeume zu befestigen, so dass alle Kinder aus der Umgebung Seilspringen konnten. An schoenen Tagen flanierten wir die Strasse rauf und runter mit unseren Puppenwagen. Ich hatte einen Ball, was damals sehr wichtig war und das gab uns die Moeglichkeit auf dem Bahnhofvorplatz Voelkerball zu spielen. Im Allgemeinen wurde unsere Zeit durch die …jugend gepraegt. Sport, Gelaendespiele, Camping in Scheunen benachbarter Doerfer, Gruselgeschichten dabei. Dazu kamen kriegsbedingte Arbeiten. Zum Beispiel wurde die ganze Schule eingesetzt, durch Kartoffelfelder zu gehen und nach Kartoffelkaefern suchen, die angeblich der Feind gestreut hatte. Da mussten Rueben verzogen und Garben gebunden werden. Das machte einen Besuch im Schwimmbad abends beinahe notwendig.“

„Ihre Frage betreffend, kann ich Ihnen warscheinlich helfen. Ich stehe seit Jahren mit einem Bekannten in Briefwechsel. Staunen Sie - Der Herr wohnt in Schopsdorf. Er hat sein Leben lang die Umgebung von Schopsdorf erforscht. Da wird es wohl keinen Quadratmeter geben, wo er nicht nach archaeologischen Funden gesucht hat. Heimatkunde ist sozusagen sein Hobby. Der Name ist Gustav Fluegge, Schopsdorf, 85 Jahre alt und Witwer.“

Frau Scheimann ist sogar noch im Besitz ihrer Freischwimmerurkunde, unterzeichnet von Herrn Lessman. Zum besagten Wasserpuhl also konnte sie mir nicht weiterhelfen, aber zum Leben zur damaligen Zeit allemal. Ihrem Hinweis zufolge nahm ich das Telefon zur Hand und sprach mit Herrn Flügge. Ich richtete ihm herzliche Grüße von Frau Scheimann aus, worüber er sich sehr freute.  Tatsächlich hat er seine Heimat erkundet, aber so weit bis Ziesar, also ins 2. Hölzchen oder zum Wasserpuhl, kam er denn doch nicht. Dieser war ihm völlig unbekannt. Ich kam mit meinen Forschungen nicht weiter; niemand mochte daran Erinnerungen haben oder etwas wissen. Irgendwann meinte mein Bruder, dass ich doch Herrn van Loh (von Loh), den Glasermeister in der Schloßstraße, der ihm gegenüber wohnt, mal fragen sollte. Er ist Mitglied im Heimatverein und könnte dazu vielleicht doch was sagen. Also rief ich ihn an und wir unterhielten uns lange. Er selbst Jahrgang 1944 habe am Wasserpuhl als Kind gespielt und meinte, dass es ein Teich, wenn auch ein kleiner war. Ob die Findlinge dort schon lagen, vermochte er nicht zu sagen. Auch sprach er von dem betrunkenen Reiter, der dort reingefallen sein soll. Desweiteren wusste er zu berichten, dass in den 1920ern am Weg vor dem Teich eine Bank aufgestellt worden war. Den Witterungseinflüssen ausgesetzt musste sie 1973 erneuert werden, als insgesamt am Naturlehrpfad mehrere Bänke als Ruhestellen gesetzt wurden. Er beschrieb auch die Fundstelle des Einbaums, der von Werner Wendisch und Otto Dietz gefunden wurde. Zum Ende gab er den Tipp, Herrn Horst Hoffmann, Paplitzer Chaussee, zu fragen. Klaro, der Herr war ja früher mein Nachbar. Bei einem nächsten Besuch zu meinen Eltern ging ich nach nebenan. Zum Glück war er da, aber dennoch konnte er mir nicht helfen. Er meinte, dass der Wasserpuhl um die 20er Jahre des vorigen Jahrhunderts schon da gewesen sei, aber wer die Findlinge dort abgelegt hatte, wusste er auch nicht.

Insgesamt gesehen gibt es bislang niemanden, der zu diesem „Froschkönigbrunnen“ Einzelheiten über Entstehung oder Bau geben kann. Es ist durchaus vorstellbar, dass es ein Teich zu Zeiten der Alten See war, als sie noch Wasser führte und dieses in die Senke gedrückt wurde. Ich bin allen dankbar, die sich daran erinnern und mir es mitteilen könnten. Dann könnte man dem „Geheimnis“ des Wasserpuhls auf den Grund kommen.

Dieses „Geheimnis“ betreffend und dem Umstand des betrunkenen Reiters habe ich eine kleine Sage geschrieben, die Sie, liebe Leser im Anhang finden. Herr Huber als „Wächter“ der Ziesaraner Homepage, wollte dies so einrichten. Ein Hinweis von ihm: Das erste und zweite Hölzchen sind zur damaligen Zeit als Flaniermeile zu Spaziergängen genutzt worden. Das erste Hölzchen ist  hier der Bereich um das Schützenhaus, dem ehemaligen Klubhaus.

 

Autor: Mario Jahn „Möhre“

 

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